Ein Briefentwurf.
Ich versuche es, Dir zu schreiben, obwohl es eigentlich nichts giebt
nach einem notwendigen Abschied. Ich versuche es dennoch, ich glaube,
ich muß es tun, weil ich die Heilige gesehen habe im Pantheon,
die einsame, heilige Frau und das Dach und die Tür und drin die Lampe mit dem
bescheidnen Lichtkreis und drüben die schlafende Stadt und den
Fluß und die Ferne im Mondschein. Die Heilige wacht über
der schlafenden Stadt. Ich habe geweint. Ich habe geweint, weil das
alles auf einmal so unerwartet da war. Ich habe davor geweint, ich
wußte mir nicht zu helfen.
Ich bin in Paris, die es hören freuen sich, die meisten beneiden
mich. Sie haben recht. Es ist eine große Stadt, groß, voll
merkwürdiger Versuchungen. Was mich betrifft, ich muß
zugeben, daß ich ihnen in gewisser Beziehung erlegen bin. Ich
glaube, es läßt sich nicht anders sagen. Ich bin diesen
Versuchungen erlegen, und das hat gewisse Veränderungen zur Folge
gehabt, wenn nicht in meinem Charakter, so doch in meiner
Weltanschauung, jedenfalls in meinem Leben. Eine vollkommen andere
Auffassung aller Dinge hat sich unter diesen Einflüssen in mir
herausgebildet, und es sind gewisse Unterschiede da, die mich von den
Menschen mehr als alles Bisherige abtrennen. Eine veränderte
Welt. Ein neues Leben voll neuer Bedeutungen. Ich habe es
augenblicklich etwas schwer, weil alles zu neu ist. Ich bin ein
Anfänger in meinen eigenen Verhältnissen.
Ob es nicht möglich wäre, einmal das Meer zu sehen?
Ja, aber denke nur, ich bildete mir ein, Du könntest
kommen. Hättest Du mir vielleicht sagen können, ob es einen
Arzt giebt? Ich habe vergessen, mich danach zu
erkundigen. Übrigens brauche ich es jetzt nicht mehr.
Erinnerst Du Dich an Baudelaires unglaubliches Gedicht
>Une Charogne<? Es kann sein, daß ich es jetzt
verstehe. Abgesehen von der letzten Strophe war er im Recht. Was
sollte er tun, da ihm das widerfuhr? Es war seine Aufgabe, in diesem
Schrecklichen, scheinbar nur Widerwärtigen das Seiende zu sehen,
das unter allem Seienden gilt. Auswahl und Ablehnung giebt es
nicht. Hältst Du es für einen
Zufall, daß Flaubert seinen Saint-Julien-l'Hospitalier
geschrieben hat? Es kommt mir vor, als wäre das das
Entscheidende: ob einer es über sich bringt, sich zu dem
Aussätzigen zu
legen und ihn zu erwärmen mit der Herzwärme der
Liebesnächte, das kann nicht anders als gut ausgehen.
Glaube nur nicht, daß ich hier an Enttäuschungen leide, im
Gegenteil. Es wundert mich manchmal, wie bereit ich alles Erwartete
aufgebe für das Wirkliche, selbst wenn es arg ist.
Mein Gott, wenn etwas davon sich teilen ließe. Aber wäre
es dann, wäre es dann? Nein, es ist nur um den
Preis des Alleinseins.
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