"Du bist mir unbegreiflich, Lisbeth." Raunte
die Witwe Frau Berg von ihrem Romanband unwillig aufblickend. "Einfach
unbegreiflich - ein 16=jähriges Mädchen weigert sich den
ersten Ball zu besuchen. Mein Gott, da war ich doch ganz anders in
deinem Alter - und heute noch, heute noch freu` ich mich auf jeden Ball
- obwohl es lächerlich klingt - als Mutter einer so großen
Tochter...." Die "große Tochter" schaute stumm in einen Winkel
des geräumigen Zimmers. Und Frau Berg fuhr fort: "Es ist einmal
die Zeit da, wo es Sitte ist dich der Welt, der Gesellschaft
vorzustellen. Und ob es Dir nun zweimal genehm ist, oder nicht -
gegen den Zwang, den althergebrachte Gepflogenheit und Lebensweise auf
uns ausüben, darf man nicht ankämpfen. Was würden denn
die Leute munkeln. Wie die Leute schon sind! Da heißts dann
nicht, sie will einfach nicht. Da kommen dann lauter "aha" und
Mutmaßungen. Willst du, dass wir uns unsterblich lächerlich
machen?
Lisbeth wippte ein wenig die vollen, runden Schultern.
Die Mutter achtete dessen wenig. - Merk, Dir Kind; l´appetit
vient en mangeant..." wenn du jetzt auch wenig Lust hast; - du hast
eben noch keine Ahnung von der Art des Vergnügens, das jedem
jungen Mädchen das höchste sein muss, - muss, sag` ich.
- Dein Kleid ist bereit. - Die Blumen sind bestellt, der Wagen
fährt um 9 Uhr vor - bis dahin ..."
Sie ließ die Rede unvollendet und las weiter.
Das blonde Mädchen aber ging leise und lautlos über den
dicken dunkeln Teppich der Thür zu.
Dort wandte sie sich noch einmal um.
"Mama."
Keine Antwort.
Und da drückte sie die Klinke herab und ging. Sie hastete
über die schmale eherne Ringeltreppe in ihr kleines Stübchen.
Dort schlug sie die Hände vors Gesicht und weinte herzbrechend. -
"Fräulein" stammelte die alte Martha, die gekommen war beim
Ankleiden behilflich zu sein, - erschrocken, "Fräuleinchen, so in
Thränen - heute?"
Und jetzt löste sich die bange Angst wie eine Lavine von der Seele
des Mädchens. - In übereilten, unverständlichen Worten
stürzte hervor, was sie dunkel und unsicher fühlte.
"Schau, Martha", und sie legte den weichen Arm um die alte, treue
Dienerin. "Ich bin nicht sonderbar. Ich bin nicht wie die Andern. Auch
auf der Straße, - wenn ein Mann mir nahe kommt da .........ich
bebe, weißt du, - und wenn mich jetzt ein Mann umfängt und
an sich presst - ich fürchte......Martha, versteh mich, ich
weiß nicht, was in mir ist. Ein Trieb..... und keine Kraft.....
Martha, es wird über mich kommen wie ein Taumel, ein
Rausch..........Gott! Gott! Muss
es denn sein. - "
Die Alte schaute groß und verständnislos aus rothen,
thränigen Lidern. "Kannst du das nicht begreifen,- drängte
Lisbeth - ich sag dir in mir gährt ein so warmes Blut
- wenn mich einer umfängt, wenn ich seinen Athem spüren
werden - ....
Und ich habe keine Kraft!
Wie soll ich dir sagen: Alles verlangt in mir......Martha ich werde
schlecht werden, so schlecht, dass du mich nicht anschauen wirst, -
mich deine alte, guthe, kleine Lisbeth.
"Jesus Maria!" Schrie die Alte.
Und dann kam Frau Berg; sie überwachte das Ankleiden der Tochter.
Sie selbst war fast fertig. Der violette, schwere Atlas schmiegte sich
fest an den üppigen Leib, der noch immer schönen Frau.
"Hast du alles nach Wunsch, Lisbeth?"
"Ja, Mutter!"
Sind die Blumen angekommen?
Ja.
Eile dich ein wenig. - Was hast du denn so lange hier gethan, ich
wähnte dich fertig. Eile dich. Es ist 1/2 9. -
Ja! -
Ich erwarte dich in meinem Zimmer. Und heitre Miene will ich sehen,
Kind! Verstehst du? - Mit solchen Leichenbitterzügen geht man
nicht auf den ersten Ball. Zum Spott der Leute!
Und Frau Berg rauschte hinaus.
Lisbeth stand vor dem großen Spiegel. Die Reflexe der Kerzen
huschten um ihre herrlichen Schultern.
Ihr fröstelte.
Mit bebenden Fingern hakte sie die weiße Seide zusammen.
Die alte Martha drehte sich unbeholfen um sie herum.
Sie half wenig.
Sie brummte nur fort durch zahnlose Kiefer: "Jesus Maria."
Kurz vor Mitternacht. -
Gemurmel, Verbeugungen, Instrumentestimmen. Das Alles durch einander.
Man ordnet sich wieder. - Paar neben Paar. Ein Dunst ist im Saal. Und
ein schwüler Geruch von Parfums und lebendigem, schweißigem
Fleische. - Schimmernde Schultern spähen aus den
Engelsausschnitten. Weißes Licht schwelgt auf ihnen. - Die Lampen
spiegeln sich in den Diamanten der Frauen und den Kahlköpfen der
Männer. Schwarze Fracks dämmern wie Tintenklexe mitten hinein
und neben ihnen prunken grelle, geschmaklose Uniformen. Und alles wogt
und wirbelt und wandelt sich jede Sekunde.
Lisbeth lehnt abseits im blauen Zimmer. Matt, fast ohnmächtig. Und
neben ihr einer jener Allerwelts
gecken. Mit großen dunklen Augen und durchscheinender Haut an den
Schläfen. Er spricht zu ihr süße, geheimnisvolle Worte.
Die rinnen ihr in die Ohren und perlen ihr heiß durch alle
Glieder. - Durch die Glieder die noch die Berührung seiner
fühlen vom letzten, rasenden Galopp her.
Und sie schloss die Augen.
Ein wonniges Prickeln zuckte in ihr.
Fern klang Musik und Stimmen. Aber so fern.
Und nur seine Stimmer war nah, seine gedämpfte Stimme.....
Und jetzt war das nicht sein Arm, was sie da am Halse fühlte.....
Gott! Und sie sträubte sich.
Aber ihr Blut kochte, und sie hatte keine Kraft. -
So - so war ihr ja gut!
Und sie wehrte sich nichtmehr. Die Sinne vergingen ihr. Sie hörte
Musik. Aber nicht jene aus dem Saal herüber. Nein, es fügten
sich leise neue Rythmen in ihren Ohren, die sie nie gehört.
Leise, leise....
Und ein Ermatten kam. Sie dachte: ich bin tod.
Ich bin tod. -
Aber dann rieselte es auf einmal durch ihren Leib.
Leben.
Sie wusste dass sie lebte!
Lust lebte - unsägliche Lust!
Und dann zerschmolz dieses Bewusstsein wieder mählich in
heißen Küssen.....
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"Du bist blass, Lisbeth" sagte Frau Berg
mitten aus der anregenden Unterhaltung heraus, die sie mit mehreren
Herren führte. - "Ich habe dich bei den letzten Tänzen ganz
aus den Augen verloren, mit wem tanztest du? -
Das Mädchen stammelte einen Namen.
"Nein, wirklich, das Fräulein ist sehr blass." Meinte einer der
Herren obenhin.
"Was ist dir?" fragte die Mutter jetzt scharf.
"Ich bin müd. -"
"Müd?"
"Das ist die Jugend von Heute" lachte die üppige Frau; nun ich
muss mich fügen!"
"Gehen wir!"
Und Lisbeth wankte halbgeschlossenen Auges hinter der Mutter her.
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Die Witwe hatte sich gleich zuruhe begeben. -
Kalt hatte sie ihr Kind verabschiedet. - Sie wäre noch gern ein
wenig geblieben. - Und da wird Lisbeth müd...... müd..........
Droben aber im Stübchen saß Lisbeth. Noch immer in
weißer Seide. Sie krampfte die Finger in ihr Blondhaar. Sie
sprach kein Wort, aber die alte Martha wußte Alles. Sie
rang verzweifelt die Hände. - Das Mädchen aber kauerte
zitternd am Fenster. Lange, lange. Und sie starrte hinaus in den
fahlen, farblosen späten Febermorgen - wie man in ein verdorbenes,
verlorenes Leben schaut....
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