Château
de Muzot sur Sierre, Valais Zur lieben feierlichen Sechs - Uhr - Stunde! Meine liebe gute Mama, unsere herzliche Sechs-Uhr-Tradition hat lauter frohe und treue Eigenschaften: aber ist es nicht eine der schönsten, die sie uns zugutekommen läßt, daß wir uns nicht allein, jedes Jahr, die alte Weihnachtsfreude schenken, gegenseitig, sondern, daß dieser zwischen uns vertrauliche Gebrauch auch noch die Weihnachts-Vor-Freude aufleben und dauern läßt, die vor der geschlossenen Tür verhaltene, die immer von so starker herzklopfender Bedeutung war! Denn indem jeder von uns, infolge der Entfernung, die unsere Briefe zu überwinden haben, genötigt wird, indem er schreibt, sich einige Tage vor dem Fest schon seine ganze heimliche Gegenwart vorzustellen, ja aus ihr heraus, das zu fühlen, was den Anderen: Dir! - die Sechsuhrstunde betonen und erfüllen soll, ist er unversehens in der großen reichen Vor-Freude drin und spricht mitten aus ihr. Von nirgends her ist ja die Freude erkennbar und ergreifbar als von der Vor-Freude aus. Also, meine liebe Mama, da bin ich, in ihr, in dieser wohlbekannten Vorfreude, die Freude sein wird, wenn Du dieses liest und mich, im Innern dieser Zeilen, in Deine Arme schließest. Aber laß mich noch eine Weile bei der Vorfreude bleiben. Die habt Ihr mich ja, Du und Papa, in einer unvergleichlichen Weise, gelehrt, mittels der Vorbereitungen und Überraschungen, die bei uns zu diesem Fest gehörten. Was schlug mir das Herz, vom Geburtstag an, über den St. Nikolaus-Tag auf Weihnachten zu, und wie steigerte sich diese seine Erregtheit immer noch mehr, am 21ten, am 22ten, am 23ten, bis am seltsam ausgesparten Nachmittag des 24ten, in seinem nicht mehr zu steigernden Sturm jene Wind-Stille eintrat, die im Menschlichen mit dem Zuviel beginnt, und in deren reine Atemlosigkeit dann die Glocken, die Glockenspiele eindrangen, die dem Aufspringen der Türen zuvorflogen durch die Dämmerung des unvergleichlichen Wintertags. Vielleicht bin ich deshalb, meine liebe Mama, ein solcher Rühmer der Freude geworden (sie dem Glück, auch noch dem, was die Menschen ein großes Glück nennen, unbedenklich vorziehend), weil Ihr mich zu so großer Vorfreude erzogen habt und an diesem einen Tag, in dem so viel Erfüllung geheimnisvoll zusammenkam, meinem Herzen zumutetet, in der Leistung der Vorfreude, ein Maß der Freude anzunehmen, das völlig unaussprechlich war. Die Freude selbst war es dann ja auch: unaussprechlich. Vielleicht schlug in sie etwas Verwirrung hinein, etwas Taumel fiel über sie her, etwas selige Müdigkeit beschlug sie... so daß man in ihr nicht mehr so klar, nicht mehr so rein leistend war, nicht mehr so unbeschränkt aktiv wie in dem engelhaften Wehen der Vor-Freude. Dort ging man, man stieg -, hier, in der Freude, war man über einen äußersten Rand gehalten und meinte nicht anders zeitweise, als zu fallen, weich und tief zu fallen. Denn, wer weiß, vielleicht ist das Leben so unendlich diskret, daß die Freude schon Einbildung ist: vielleicht ist ja das ganze Irdische, in seiner letzten Zusammenfassung, in der auch noch der größeste Schmerz, als eine Einzelheit, untergeht, nichts als eine einzige Vor-Freude - und die Freude, die uns hier überträfe, wartet anderswo. Feiern wir, meine liebe gute Mama, heuer in diesem Sinn unser stilles gemeinsames Fest; lassen wir's, was die Geburt des Heilands ja auch war, das Fest der Vorfreude sein. Denn die Freude war die Erlösung, war die Auferstehung, war die Himmelfahrt: und siehe: diese Ereignisse und Offenbarungen der letzten Freude, der äußersten, übertrafen sogar Maria so sehr, daß sie ihr nur noch als ein seliger Schmerz faßbar waren. In diesem Sinne lies auch meine beiden neuen Bücher, die Arbeiten meines vorletzten, (des ersten) Muzot-Winters: als einen Versuch, irgendwie Leben und Tod in einer übergroßen Freude, die ohne Namen bleibt, zusammenzufassen und alles, was uns hier geschieht, so auszusprechen, daß es sich feiern läßt, wie eine Vorfreude, um des Zitterns um der Erwartung, um des Geheimnisses willen. Amen! Und so knieen wir wieder nebeneinander, liebe Mama, und erkennen die Eine Quelle des Segens und bitten, gesegnet zu sein. Dein alter René. |