Das war im Theater zu Orange. Ohne recht aufzusehen, nur im
Bewußtsein des rustiken Bruchs, der jetzt seine Fassade
ausmacht, war ich durch die kleine Glastür des Wächters
eingetreten. Ich befand mich zwischen liegenden
Säulenkörpern und kleinen Althaeabäumen, aber sie
verdeckten mir nur einen Augenblick die offene Muschel des
Zuschauerhangs, die dalag, geteilt von den Schatten des Nachmittags,
wie eine riesige konkave Sonnenuhr. Ich ging rasch auf sie zu. Ich
fühlte, zwischen den Sitzreihen aufsteigend, wie ich abnahm in
dieser Umgebung. Oben, etwas höher, standen, schlecht verteilt,
ein paar Fremde herum in müßiger Neugier; ihre Anzüge
waren unangenehm deutlich, aber ihr Maßstab war nicht der Rede
wert. Eine Weile faßten sie mich ins Auge und wunderten sich
über meine Kleinheit. Das machte, daß ich mich
umdrehte.
Oh, ich war völlig unvorbereitet. Es wurde gespielt. Ein
immenses, ein übermenschliches Drama war im Gange, das Drama
dieser gewaltigen Szenenwand, deren senkrechte Gliederung dreifach
auftrat, dröhnend vor Größe, fast vernichtend und
plötzlich maßvoll im Übermaß.
Ich ließ mich hin vor glücklicher Bestürzung. Dieses
Ragende da mit der antlitzhaften Ordnung seiner Schatten, mit dem
gesammelten Dunkel im Mund seiner Mitte, begrenzt, oben, von des
Kranzgesimses gleichlockiger Haartracht: dies war die starke, alles
verstellende antikische Maske, hinter der die Welt zum Gesicht
zusammenschoß. Hier, in diesem großen, eingebogenen
Sitzkreis herrschte ein wartendes, leeres, saugendes Dasein: alles
Geschehen war drüben: Götter und Schicksal. Und von
drüben kam (wenn man hoch aufsah) leicht, über den Wandgrat:
der ewige Einzug der Himmel.
Diese Stunde, das begreife ich jetzt, schloß mich für
immer aus von unseren Theatern. Was soll ich dort? Was soll ich vor
einer Szene, in der diese Wand (die Ikonwand der russischen Kirchen)
abgetragen wurde, weil man nicht mehr die Kraft hat, durch ihre
Härte die Handlung durchzupressen, die gasförmige, die in
vollen schweren Öltropfen austritt. Nun fallen die Stücke
in Brocken durch das lochige Grobsieb der Bühnen und häufen
sich an und werden weggeräumt, wenn es genug ist. Es ist dieselbe
ungare Wirklichkeit, die auf den Straßen liegt und in den
Häusern, nur daß mehr davon dort zusammenkommt, als sonst
in einen Abend geht.
(Laßt uns doch aufrichtig sein, wir haben kein Theater, so wenig
wir einen Gott haben: dazu gehört Gemeinsamkeit. Jeder hat seine
besonderen Einfälle und Befürchtungen, und er
läßt den andern so viel davon sehen, als ihm nützt und
paßt. Wir verdünnen fortwährend unser Verstehen,
damit es reichen soll, statt zu schreien nach der Wand einer
gemeinsamen Not, hinter der das Unbegreifliche Zeit hat, sich zu
sammeln und anzuspannen.)
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