Wenn ichs nun bedenke, so scheint es mir seltsam, daß in
demselben Buche der Ausgang dessen erzählt wurde, der sein ganzes
Leben lang Einer war, der Gleiche, hart und nicht zu ändern wie
ein Granit und immer schwerer auf allen, die ihn ertrugen. Es giebt
ein Bild von ihm in Dijon. Aber man weiß es auch so, daß
er kurz, quer, trotzig war und verzweifelt. Nur an die Hände
hätte man vielleicht nicht gedacht. Es sind arg warme Hände,
die sich immerfort kühlen möchten und sich
unwillkürlich auf Kaltes legen, gespreizt, mit Luft zwischen
allen Fingern. In diese
Hände konnte das Blut hineinschießen, wie es einem zu Kopf
steigt, und geballt waren sie wirklich wie die Köpfe von Tollen,
tobend von Einfällen.
Es gehörte unglaubliche Vorsicht dazu, mit diesem Blute zu
leben. Der Herzog war damit eingeschlossen in sich selbst, und
zuzeiten fürchtete ers, wenn es um ihn herumging, geduckt und
dunkel. Es konnte ihm selber grauenhaft fremd sein, dieses behende,
halbportugiesische Blut, das er kaum kannte. Oft ängstigte es
ihn, daß es ihn im Schlafe anfallen könnte und
zerreißen. Er tat, als bändigte ers, aber er stand immer in
seiner Furcht. Er wagte nie eine Frau zu lieben, damit es nicht
eifersüchtig würde, und so reißend war es, daß
Wein nie über seine Lippen kam; statt zu trinken, sänftigte
ers mit Rosenmus. Doch, einmal trank er, im Lager vor Lausanne, als
Granson verloren war; da war er krank und abgeschieden und trank viel
puren Wein. Aber damals schlief sein Blut. In seinen sinnlosen letzten
Jahren verfiel es manchmal in diesen schweren, tierischen Schlaf. Dann
zeigte es sich, wie sehr er in seiner Gewalt war; denn wenn es
schlief, war er nichts. Dann durfte keiner von seiner Umgebung herein;
er begriff nicht, was sie redeten. Den fremden Gesandten konnte er
sich nicht zeigen, öd wie er war. Dann saß er und wartete,
daß es aufwachte. Und meistens fuhr es mit einem Sprunge auf und
brach aus dem Herzen aus und brüllte.
Für dieses Blut schleppte er alle die Dinge mit, auf die er
nichts gab. Die drei großen Diamanten und alle die Steine; die
flandrischen Spitzen und die Teppiche von Arros, haufenweis. Sein
seidenes Gezelt mit den aus Gold gedrehten Schnüren und
vierhundert Zelte für sein Gefolg. Und Bilder, auf Holz gemalt,
und die zwölf Apostel aus vollem Silber. Und den Prinzen von
Tarent und den Herzog von Cleve und Philipp von Baden und den Herrn
von Château-Guyon. Denn er wollte seinem Blut einreden,
daß er Kaiser sei und nichts über ihm: damit es ihn
fürchte. Aber sein Blut
glaubte ihm nicht, trotz solcher Beweise, es war ein
mißtrauisches Blut. Vielleicht erhielt er es noch eine Weile im
Zweifel. Aber die Hörner von Uri verrieten ihn. Seither
wußte sein Blut, daß es in einem Verlorenen war: und
wollte heraus.
So seh ich es jetzt, damals aber machte es mir vor allem Eindruck, von
dem Dreikönigstag zu lesen, da man ihn suchte.
Der junge lothringische Fürst, der tags vorher, gleich nach der
merkwürdig hastigen Schlacht in seiner elenden Stadt Nancy
eingeritten war, hatte ganz früh seine Umgebung geweckt und nach
dem Herzog gefragt. Bote um Bote wurde ausgesandt, und er selbst
erschien von Zeit zu Zeit am Fenster, unruhig und besorgt. Er erkannte
nicht immer, wen sie da brachten auf ihren Wagen und Tragbahren, er
sah nur, daß es nicht der Herzog war. Und auch unter den
Verwundeten war er nicht, und von den Gefangenen, die man
fortwährend noch einbrachte, hatte ihn keiner gesehen. Die
Flüchtlinge aber trugen nach allen Seiten verschiedene
Nachrichten und waren wirr und schreckhaft, als fürchteten sie,
auf ihn zuzulaufen. Es dunkelte schon, und man hatte nichts von ihm
gehört. Die Kunde, daß er ver schwunden sei, hatte Zeit
herumzukommen an dem langen Winterabend. Und wohin sie kam, da
erzeugte sie in allen eine jähe, übertriebene Sicherheit,
daß er lebte. Nie vielleicht war der Herzog so wirklich in
jeder Einbildung wie in dieser Nacht. Es gab kein Haus, wo man nicht
wachte und auf ihn wartete und sich sein Klopfen vorstellte. Und wenn
er nicht kam, so wars, weil er schon vorüber war.
Es fror diese Nacht, und es war, als fröre auch die Idee,
daß er sei; so hart wurde sie. Und Jahre und Jahre vergingen,
eh sie sich auflöste. Alle diese Menschen, ohne es recht zu
wissen, bestanden jetzt auf ihm. Das Schicksal, das er über sie
gebracht hatte, war nur erträglich durch seine Gestalt. Sie
hatten so schwer erlernt, daß er war; nun aber,
da sie ihn konnten, fanden sie, daß er gut zu merken sei und
nicht zu vergessen.
Aber am nächsten Morgen, dem siebenten Januar, einem Dienstag,
fing das Suchen doch wieder an. Und diesmal war ein Führer da. Es
war ein Page des Herzogs, und es hieß, er habe seinen Herrn von
ferne stürzen sehen; nun sollte er die Stelle zeigen. Er selbst
hatte nichts erzählt, der Graf von Campobasso hatte ihn gebracht
und hatte für ihn gesprochen. Nun ging er voran, und die anderen
hielten sich dicht hinter ihm. Wer ihn so sah, vermummt und
eigentümlich unsicher, der hatte Mühe zu glauben, daß
es wirklich Gian-Battista Colonna sei, der schön wie ein
Mädchen war und schmal in den Gelenken. Er zitterte vor
Kälte; die
Luft war steif vom Nachtfrost, es klang wie Zähneknirschen unter
den Schritten. Übrigens froren sie alle. Nur des Herzogs Narr,
Louis-Onze zubenannt, machte sich Bewegung. Er spielte den Hund, lief
voraus, kam wieder und trollte eine Weile auf allen Vieren neben dem
Knaben her; wo er aber von fern eine Leiche sah, da sprang er hin und
verbeugte sich und redete ihr zu, sie möchte sich zusammennehmen
und der sein, den man suchte. Er ließ ihr ein wenig Bedenkzeit,
aber dann kam er mürrisch zu den andern zurück und drohte
und fluchte und beklagte sich uber den Eigensinn und die Trägheit
der Toten. Und man ging immerzu, und es nahm kein Ende. Die Stadt war
kaum mehr zu sehen; denn das Wetter hatte sich inzwischen geschlossen,
trotz der Kälte, und war grau und undurchsichtig geworden. Das
Land lag flach und gleichgültig da, und die kleine, dichte Gruppe
sah immer verirrter aus, je weiter sie sich bewegte. Niemand sprach,
nur ein altes Weib, das mitgelaufen war, malmte etwas und
schüttelte den Kopf dabei; vielleicht betete sie.
Auf einmal blieb der Vorderste stehen und sah um sich. Dann wandte er
sich kurz zu Lupi, dem portugiesischen Arzt des Herzogs, und zeigte
nach vorn. Ein paar Schritte
weiterhin war eine Eisfläche, eine Art Tümpel oder Teich,
und da lagen, halb eingebrochen, zehn oder zwölf Leichen. Sie
waren fast ganz entblößt und ausgeraubt. Lupi ging
gebückt und aufmerksam von einem zum andern. Und nun erkannte man
Olivier de la Marche und den Geistlichen, wie sie so einzeln
herumgingen. Die Alte aber kniete schon im Schnee und winselte und
bückte sich über eine große Hand, deren Finger ihr
gespreizt entgegenstarrten. Alle eilten herbei. Lupi mit einigen
Dienern versuchte den Leichnam zu wenden, denn er lag
vornüber. Aber das Gesicht war eingefroren, und da man es aus dem
Eis herauszerrte, schälte sich die eine Wange dünn und
spröde ab, und es zeigte sich, daß die andere von Hunden
oder Wölfen herausgerissen war; und das Ganze war von einer
großen Wunde gespalten, die am Ohr begann, so daß von
einem Gesicht keine Rede sein konnte.
Einer nach dem anderen blickte sich um; jeder meinte den Römer
hinter sich zu finden. Aber sie sahen nur den Narren, der
herbeigelaufen kam, böse und blutig. Er hielt einen Mantel von
sich ab und schüttelte ihn, als sollte etwas herausfallen; aber
der Mantel war leer. So ging man daran, nach Kennzeichen zu suchen,
und es fanden sich einige. Man hatte ein Feuer gemacht und wusch den
Körper mit warmem Wasser und Wein. Die Narbe am Halse kam zum
Vorschein und die Stellen der beiden großen Abszesse. Der Arzt
zweifelte nicht mehr. Aber man verglich noch anderes. Louis-Onze hatte
ein paar Schritte weiter den Kadaver des großen schwarzen
Pferdes Moreau gefunden, das der Herzog am Tage von Nancy geritten
hatte. Er saß darauf und ließ die kurzen Beine
hängen. Das Blut rann ihm noch immer aus der Nase in den Mund,
und man sah ihm an, daß er es schmeckte. Einer der Diener
drüben erinnerte, daß ein Nagel an des Herzogs linkem
Fuß eingewachsen gewesen wäre; nun suchten alle den
Nagel. Der Narr aber zappelte, als würde er gekitzelt, und
schrie: »Ach, Monseigneur,
verzeih ihnen, daß sie deine groben Fehler aufdecken, die
Dummköpfe, und dich nicht erkennen an meinem langen Gesicht, in
dem deine Tugenden stehn.«
(Des Herzogs Narr war auch der erste, der eintrat, als die Leiche
gebettet war. Es war im Hause eines gewissen Georg Marquis, niemand
konnte sagen, wieso. Das Bahrtuch war noch nicht übergelegt, und
so hatte er den ganzen Eindruck. Das Weiß des Kamisols und das
Karmesin vom Mantel sonderten sich schroff und unfreundlich
voneinander ab zwischen den beiden Schwarz von Baldachin und
Lager. Vorne
standen scharlachne Schaftstiefel ihm entgegen mit großen,
vergoldeten Sporen. Und daß das dort oben ein Kopf war,
darüber konnte kein Streit entstehen, sobald man die Krone
sah. Es war eine große Herzogs-Krone mit irgendwelchen
Steinen. Louis-Onze ging umher und besah alles genau. Er befühlte
sogar den Atlas, obwohl er wenig davon verstand. Es mochte guter Atlas
sein, vielleicht ein bißchen billig für das Haus
Burgund. Er trat noch einmal zurück um des Überblicks
willen. Die Farben waren merkwürdig unzusammenhängend im
Schneelicht. Er prägte sich jede einzeln ein. »Gut
angekleidet«, sagte er schließlich anerkennend,
»vielleicht eine Spur zu deutlich.« Der Tod kam ihm vor
wie ein Puppenspieler, der rasch einen Herzog braucht.)
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