Ich habe meinen Nachbar fast schon vergessen. Ich sehe wohl, daß
es keine richtige Teilnahme war, was ich für ihn hatte. Unten
frage ich zwar zuweilen im Vorübergehen, ob Nachrichten von ihm
da sind und welche. Und ich freue mich, wenn sie gut sind. Aber ich
übertreibe. Ich habe eigentlich nicht nötig, das zu
wissen. Das hängt gar nicht mehr mit ihm zusammen, daß ich
manchmal einen plötzlichen Reiz verspüre, nebenan
einzutreten. Es ist nur ein Schritt von meiner Tür zu der
anderen, und das Zimmer ist nicht verschlossen. Es würde mich
interessieren, wie dieses Zimmer eigentlich beschaffen ist. Man kann
sich mit Leichtigkeit ein beliebiges Zimmer vorstellen, und oft
stimmt es dann ungefähr. Nur das Zimmer, das man neben sich hat,
ist immer ganz anders, als man es sich denkt.
Ich sage mir, daß es dieser Umstand ist, der mich reizt. Aber
ich weiß ganz gut, daß es ein gewisser blecherner
Gegenstand ist, der auf mich wartet. Ich habe angenommen, daß
es sich wirklich um einen Büchsendeckel handelt, obwohl ich mich
natürlich irren kann. Das beunruhigt mich nicht. Es entspricht
nun einmal meiner Anlage, die Sache auf einen Büchsendeckel zu
schieben. Man kann denken, daß er ihn nicht mitgenommen
hat. Wahrscheinlich hat man aufgeräumt, man hat den Deckel auf
seine Büchse gesetzt, wie es sich gehört. Und nun bilden die
beiden zusammen den Begriff Büchse, runde Büchse, genau
ausgedrückt, einen einfachen, sehr bekannten Begriff. Mir ist,
als
entsänne ich mich, daß sie auf dem Kamin stehn, die beiden,
die die Büchse ausmachen. Ja, sie stehn sogar vor dem Spiegel, so
daß dahinter noch eine Büchse entsteht, eine täuschend
ähnliche, imaginäre. Eine Büchse, auf die wir gar
keinen Wert legen, nach der aber zum Beispiel ein Affe greifen
würde. Richtig, es würden sogar zwei Affen danach greifen,
denn auch der Affe wäre doppelt, sobald er auf dem Kaminrand
ankäme. Nun also, es ist der Deckel dieser Büchse, der es
auf mich abgesehen hat.
Einigen wir uns darüber: der Deckel einer Büchse, einer
gesunden Büchse, deren Rand nicht anders gebogen ist, als sein
eigener, so ein Deckel müßte kein anderes Verlangen kennen,
als sich auf seiner Büchse zu befinden; dies müßte das
Außerste sein, was er sich vorzustellen vermag; eine nicht zu
übertreffende Befriedigung, die Erfüllung aller seiner
Wünsche. Es ist ja auch etwas geradezu Ideales, geduldig und
sanft eingedreht auf der kleinen Gegenwulst gleichmäßig
aufzuruhen und die eingreifende Kante in sich zu fühlen,
elastisch und gerade so scharf, wie man selber am Rande ist, wenn man
einzeln daliegt. Ach, aber wie wenige Deckel giebt es, die das noch zu
schätzen wissen. Hier zeigt es sich so recht, wie verwirrend der
Umgang mit den Menschen auf die Dinge gewirkt hat. Die Menschen
nämlich, wenn es angeht, sie ganz vorübergehend mit solchen
Deckeln zu vergleichen, sitzen höchst ungern und schlecht auf
ihren Beschäftigungen. Teils weil sie nicht auf die richtigen
gekommen sind in der Eile, teils weil man sie schief und zornig
aufgesetzt hat, teils weil die Ränder, die aufeinander
gehören, verbogen sind, jeder auf eine andere Art. Sagen wir es
nur ganz aufrichtig: sie denken im Grunde nur daran, sobald es sich
irgend tun läßt, hinunterzuspringen, zu rollen und zu
blechern. Wo kämen sonst alle diese sogenannten Zerstreuungen her
und der Lärm, den sie verursachen?
Die Dinge sehen das nun schon seit Jahrhunderten an.
Es ist kein Wunder, wenn sie verdorben sind, wenn sie den Geschmack
verlieren an ihrem natürlichen, stillen Zweck und das Dasein so
ausnutzen möchten, wie sie es rings um sich ausgenutzt sehen. Sie
machen Versuche, sich ihren Anwendungen zu entziehen, sie werden
unlustig und nachlässig, und die Leute sind gar nicht erstaunt,
wenn sie sie auf einer Ausschweifung ertappen. Sie kennen das so gut
von sich selbst. Sie ärgern sich, weil sie die Stärkeren
sind, weil sie mehr Recht auf Abwechslung zu haben meinen, weil sie
sich nachgeäfft fühlen; aber sie lassen die Sache gehen, wie
sie sich selber gehen lassen. Wo aber einer ist, der sich
zusammennimmt, ein Einsamer etwa, der so recht rund auf sich beruhen
wollte Tag und Nacht, da fordert er geradezu den Widerspruch, den
Hohn, den Haß der entarteten Geräte heraus, die, in ihrem
argen Gewissen, nicht mehr vertragen können, daß etwas sich
zusammenhält und nach seinem Sinne strebt. Da verbinden sie sich,
um ihn zu stören, zu schrecken, zu beirren, und wissen, daß
sie es können. Da fangen sie, einander zuzwinkernd, die
Verführung an, die dann ins Unermessene weiter wächst und
alle Wesen und Gott selber hinreißt gegen den Einen, der
vielleicht übersteht: den Heiligen.
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