Nun sind auch die Teppiche der Dame à la Licorne nicht mehr in
dem alten Schloß von Boussac. Die Zeit ist da, wo alles aus den
Häusern fortkommt, sie können nichts mehr behalten. Die
Gefahr ist sicherer geworden als die Sicherheit. Niemand aus dem
Geschlecht der Delle Viste geht neben einem her und hat das im
Blut. Sie sind alle vorbei. Niemand spricht deinen Namen aus, Pierre
d'Aubusson, großer Großmeister aus uraltem Hause, auf
dessen Willen hin vielleicht diese Bilder gewebt wurden, die alles
preisen und nichts preisgeben. (Ach, daß die Dichter je anders
von Frauen geschrieben haben, wörtlicher, wie sie meinten. Es ist
sicher, wir durften nichts wissen als das.) Nun kommt man
zufällig davor unter Zufälligen und erschrickt fast, nicht
geladen zu sein. Aber da sind andere und gehen vorüber, wenn es
auch nie viele sind. Die jungen Leute halten sich kaum auf, es sei
denn, daß das irgendwie in ihr Fach gehört, diese Dinge
einmal gesehen zu haben, auf die oder jene bestimmte Eigenschaft
hin.
Junge Mädchen allerdings findet man zuweilen davor. Denn es giebt
eine Menge junger Mädchen in den Museen, die fortgegangen sind
irgendwo aus den Häusern, die nichts mehr behalten. Sie finden
sich vor diesen Teppichen und vergessen sich ein wenig. Sie haben
immer gefühlt, daß es dies gegeben hat, solch ein leises
Leben langsamer, nie ganz aufgeklärter Gebärden, und sie
erinnern sich dunkel, daß sie sogar eine Zeitlang meinten, es
würde ihr Leben sein. Aber dann ziehen sie rasch ein Heft hervor
und beginnen zu zeichnen, gleichviel was, eine von den Blumen oder
ein kleines, vergnügtes Tier. Darauf käme es nicht an, hat
man ihnen vorgesagt, was es gerade wäre. Und darauf kommt es
wirklich nicht an. Nur daß gezeichnet wird, das
ist die Hauptsache; denn dazu sind sie fortgegangen eines Tages,
ziemlich gewaltsam. Sie sind aus guter Familie. Aber wenn sie jetzt
beim Zeichnen die Arme heben, so ergiebt sich, daß ihr Kleid
hinten nicht zugeknöpft ist oder doch nicht ganz. Es sind da ein
paar Knöpfe, die man nicht erreichen kann. Denn als dieses Kleid
gemacht wurde, war noch nicht davon die Rede gewesen, daß sie
plötzlich allein weggehen würden. In der Familie ist immer
jemand für solche Knöpfe. Aber hier, lieber Gott, wer sollte
sich damit abgeben in einer so großen Stadt. Man
müßte schon eine Freundin haben; Freundinnen sind aber in
derselben Lage, und da kommt es doch darauf hinaus, daß man sich
gegenseitig die Kleider schließt. Das ist lächerlich und
erinnert an die Familie, an die man nicht erinnert sein will.
Es läßt sich ja nicht vermeiden, daß man während
des Zeichnens zuweilen überlegt, ob es nicht doch möglich
gewesen wäre zu bleiben. Wenn man hätte fromm sein
können, herzhaft fromm im gleichen Tempo mit den andern. Aber
das nahm sich so unsinnig aus, das gemeinsam zu versuchen. Der Weg ist
irgendwie enger geworden: Familien können nicht mehr zu Gott. Es
blieben also nur verschiedene andere Dinge, die man zur Not teilen
konnte. Da kam dann aber, wenn man ehrlich teilte, so wenig auf den
einzelnen, daß es eine Schande war. Und betrog man beim Teilen,
so entstanden Auseinandersetzungen. Nein, es ist wirklich besser zu
zeichnen, gleichviel was. Mit der Zeit stellt sich die
Ähnlichkeit schon ein. Und die Kunst, wenn man sie so
allmählich hat, ist doch etwas recht Beneidenswertes.
Und über der angestrengten Beschäftigung mit dem, was sie
sich vorgenommen haben, diese jungen Mädchen, kommen sie nicht
mehr dazu, aufzusehen. Sie merken nicht, wie sie bei allem Zeichnen
doch nichts tun, als das unabänderliche Leben in sich
unterdrücken, das in diesen gewebten Bildern strahlend vor ihnen
aufgeschlagen ist in seiner
unendlichen Unsäglichkeit. Sie wollen es nicht glauben. Jetzt, da
so vieles anders wird, wollen sie sich verändern. Sie sind ganz
nahe daran, sich aufzugeben und so von sich zu denken, wie
Männer etwa von ihnen reden könnten, wenn sie nicht da
sind. Das scheint ihnen ihr Fortschritt. Sie sind fast schon
überzeugt, daß man einen Genuß sucht und wieder einen
und einen noch stärkeren Genuß: daß darin das Leben
besteht, wenn man es nicht auf eine alberne Art verlieren will. Sie
haben schon angefangen, sich umzusehen, zu suchen; sie, deren
Stärke immer darin bestanden hat, gefunden zu werden.
Das kommt, glaube ich, weil sie müde sind. Sie haben Jahrhunderte
lang die ganze Liebe geleistet, sie haben immer den vollen Dialog
gespielt, beide Teile. Denn der Mann hat nur nachgesprochen und
schlecht. Und hat ihnen das Erlernen schwer gemacht mit seiner
Zerstreutheit, mit seiner Nachlässigkeit, mit seiner Eifersucht,
die auch eine Art Nachlässigkeit war. Und sie haben trotzdem
ausgeharrt Tag und Nacht und haben zugenommen an Liebe und Elend. Und
aus ihnen sind, unter dem Druck endloser Nöte, die gewaltigen
Liebenden hervorgegangen, die, während sie ihn riefen, den Mann
überstanden; die über ihn hinauswuchsen, wenn er nicht
wiederkam, wie Gaspara Stampa oder wie die Portugiesin, die nicht
abließen, bis ihre Qual umschlug in eine herbe, eisige
Herrlichkeit, die nicht mehr zu halten war. Wir wissen von der und
der, weil Briefe da sind, die wie durch ein Wunder sich erhielten,
oder Bücher mit anklagenden oder klagenden Gedichten, oder
Bilder, die uns anschauen in einer Galerie durch ein Weinen durch, das
dem Maler gelang, weil er nicht wußte, was es war. Aber es sind
ihrer zahllos mehr gewesen; solche, die ihre Briefe verbrannt haben,
und andere, die keine Kraft mehr hatten, sie zu schreiben. Greisinnen,
die verhärtet waren, mit einem Kern von Köstlichkeit in
sich, den sie verbargen. Formlose, stark gewordene Frauen, die,
stark geworden aus Erschöpfung, sich ihren Männern ähnlich
werden ließen und die doch innen ganz anders waren, dort, wo
ihre Liebe gearbeitet hatte, im Dunkel. Gebärende, die nie
gebären wollten, und wenn sie endlich starben an der achten
Geburt, so hatten sie die Gesten und das Leichte von Mädchen, die
sich auf die Liebe freuen. Und die, die blieben neben Tobenden und
Trinkern, weil sie das Mittel gefunden hatten, in sich so weit von
ihnen zu sein wie nirgend sonst; und kamen sie unter die Leute, so
konnten sies nicht verhalten und schimmerten, als gingen sie immer mit
Seligen um. Wer kann sagen, wie viele es waren und welche. Es ist,
als hätten sie im voraus die Worte vernichtet, mit denen man sie
fassen könnte.
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