Es giebt Teppiche hier, Abelone, Wandteppiche. Ich bilde mir
ein, du bist da, sechs Teppiche sinds, komm, laß uns langsam
vorübergehen. Aber erst tritt zurück und sieh alle
zugleich. Wie ruhig sie sind, nicht? Es ist wenig Abwechslung
darin. Da ist immer diese ovale blaue Insel, schwebend im
zurückhaltend roten Grund, der blumig ist und von kleinen, mit
sich beschäftigten Tieren bewohnt. Nur dort, im letzten Teppich,
steigt die Insel ein wenig auf, als ob sie leichter geworden sei. Sie
trägt immer eine Gestalt, eine Frau in verschiedener Tracht,
aber immer dieselbe. Zuweilen ist eine kleinere Figur neben ihr, eine
Dienerin, und immer sind die wappentragenden Tiere da, groß, mit
auf der Insel, mit in der Handlung. Links ein Löwe, und rechts,
hell, das Einhorn; sie halten die gleichen Banner, die hoch über
ihnen zeigen: drei silberne Monde, steigend, in blauer Binde auf rotem
Feld. - Hast du gesehen, willst du beim ersten beginnen?
Sie füttert den Falken. Wie herrlich ihr Anzug ist. Der Vogel ist
auf der gekleideten Hand und rührt sich. Sie sieht ihm zu und
langt dabei in die Schale, die ihr die Dienerin bringt, um ihm etwas
zu reichen. Rechts unten auf der Schleppe hält sich ein kleiner,
seidenhaariger Hund, der aufsieht und hofft, man werde sich seiner
erinnern. Und, hast du bemerkt, ein niederes Rosengitter
schließt hinten die Insel ab. Die Wappentiere steigen heraldisch
hochmütig. Das Wappen ist ihnen noch einmal als Mantel
umgegeben. Eine schöne Agraffe hält es zusammen. Es weht.
Geht man nicht unwillkürlich leiser zu dem nächsten
Teppich hin, sobald man gewahrt, wie versunken sie ist: sie bindet
einen Kranz, eine kleine, runde Krone aus Blumen. Nachdenklich
wählt sie die Farbe der nächsten Nelke in dem flachen
Becken, das ihr die Dienerin hält, während sie die vorige
anreiht. Hinten auf einer Bank steht unbenutzt ein Korb voller Rosen,
den ein Affe entdeckt hat. Diesmal sollten es Nelken sein. Der
Löwe nimmt nicht mehr teil; aber rechts das Einhorn begreift.
Mußte nicht Musik kommen in diese Stille, war sie nicht schon
verhalten da? Schwer und still geschmückt, ist sie (wie langsam,
nicht?) an die tragbare Orgel getreten und spielt, stehend, durch das
Pfeifenwerk abgetrennt von der Dienerin, die jenseits die Bälge
bewegt. So schön war sie noch nie. Wunderlich ist das Haar in
zwei Flechten nach vorn genommen und über dem Kopfputz oben
zusammengefaßt, so daß es mit seinen Enden aus dem Bund
aufsteigt wie ein kurzer Helmbusch. Verstimmt erträgt der
Löwe die Töne, ungern, Geheul verbeißend. Das Einhorn
aber ist schön, wie in Wellen bewegt.
Die Insel wird breit. Ein Zelt ist errichtet. Aus blauem Damast und
goldgeflammt. Die Tiere raffen es auf, und schlicht beinah in ihrem
fürstlichen Kleid tritt sie vor. Denn was sind ihre Perlen gegen
sie selbst. Die Dienerin hat eine kleine Truhe geöffnet, und sie
hebt nun eine Kette heraus, ein schweres, herrliches Kleinod, das
immer verschlossen war. Der kleine Hund sitzt bei ihr, erhöht,
auf bereitetem Platz und sieht es an. Und hast du den Spruch entdeckt
auf dem Zeltrand oben? da steht: >A mon seul désir.<
Was ist geschehen, warum springt das kleine Kaninchen da unten, warum
sieht man gleich, daß es springt? Alles ist so befangen. Der
Löwe hat nichts zu tun. Sie selbst hält das Banner. Oder
hält sie sich dran? Sie hat mit der anderen Hand nach dem Horn
des Einhorns gefaßt. Ist das Trauer, kann Trauer so aufrecht
sein, und ein Trauerkleid so verschwiegen wie dieser grünschwarze
Samt mit den welken Stellen?
Aber es kommt noch ein Fest, niemand ist geladen dazu. Erwartung
spielt dabei keine Rolle. Es ist alles da. Alles für immer. Der
Löwe sieht sich fast drohend um: es darf niemand kommen. Wir
haben sie noch nie müde gesehen; ist sie müde? oder hat sie
sich nur niedergelassen, weil sie etwas Schweres hält? Man
könnte meinen, eine Monstranz. Aber sie neigt den andern Arm
gegen das Einhorn hin, und das Tier bäumt sich geschmeichelt auf
und steigt und stützt sich auf ihren Schooß. Es ist ein
Spiegel, was sie hält. Siehst du: sie zeigt dem Einhorn sein Bild
-.
Abelone, ich bilde mir ein, du bist da. Begreifst du, Abelone? Ich
denke, du mußt begreifen.
|