Und dann kam eine von diesen Krankheiten, die darauf ausgingen, mir zu
beweisen, daß dies nicht das erste eigene Erlebnis war. Das
Fieber wühlte in mir und holte von ganz unten Erfahrungen,
Bilder, Tatsachen heraus, von denen ich nicht gewußt hatte; ich
lag da, überhäuft mit mir, und wartete auf den Augenblick,
da mir befohlen würde, dies alles wieder in mich
hineinzuschichten, ordentlich, der Reihe nach. Ich begann, aber es
wuchs mir unter den Händen, es sträubte sich, es war viel zu
viel. Dann packte mich die Wut, und ich warf alles in Haufen in mich
hinein und preßte es zusammen; aber ich ging nicht wieder
darüber zu. Und da schrie ich, halb offen wie ich war, schrie ich
und schrie. Und wenn ich anfing hinauszusehen aus mir, so standen sie
seit lange um mein Bett und hielten mir die Hände, und eine Kerze
war da, und ihre großen Schatten rührten sich hinter
ihnen. Und mein Vater befahl mir, zu sagen, was es gäbe. Es war
ein freundlicher, gedämpfter Befehl, aber ein Befehl war es
immerhin. Und er wurde ungeduldig, wenn ich nicht antwortete.
Maman kam nie in der Nacht -, oder doch, einmal kam sie. Ich hatte
geschrieen und geschrieen, und Mademoiselle war gekommen und
Sieversen, die Haushälterin, und Georg, der Kutscher; aber das
hatte nichts genutzt. Und da hatten sie endlich den Wagen nach den
Eltern geschickt, die auf einem großen Balle waren, ich glaube
beim Kronprinzen. Und auf einmal hörte ich ihn hereinfahren in
den Hof, und ich wurde still, saß und sah nach der Tür. Und
da rauschte es ein wenig in den anderen Zimmern, und Maman kam herein
in der großen Hofrobe, die sie gar nicht in acht
nahm, und lief beinah und ließ ihren weißen Pelz hinter
sich fallen und nahm mich in die bloßen Arme. Und ich
befühlte, erstaunt und entzückt wie nie, ihr Haar und ihr
kleines, gepflegtes Gesicht und die kalten Steine an ihren Ohren und
die Seide am Rand ihrer Schultern, die nach Blumen dufteten. Und wir
blieben so und weinten zärtlich und küßten uns, bis
wir fühlten, daß der Vater da war und daß wir uns
trennen mußten. »Er hat hohes Fieber«, hörte
ich Maman schüchtern sagen, und der Vater griff nach meiner Hand
und zählte den Puls. Er war in der Jägermeisteruniform mit
dem schönen, breiten, gewässerten blauen Band des
Elefanten. »Was für ein Unsinn, uns zu rufen«, sagte
er ins Zimmer hinein, ohne mich anzusehen. Sie hatten versprochen,
zurückzukehren, wenn es nichts Ernstliches wäre. Und
Ernstliches war es ja nichts. Auf meiner Decke aber fand ich Mamans
Tanzkarte und weiße Kamelien, die ich noch nie gesehen hatte
und die ich mir auf die Augen legte, als ich merkte, wie kühl sie
waren.
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