Lieber helle,

wie schade, daß Du Dich nicht wirklich wenigstens einmal verschrieben hast
Ich werde versuchen, Deine Fragen zu beantworten (obwohl ich ja weiß, daß es keine "gültigen" Antworten sein können, dazu müßten wir Rilke selber fragen... ich kann nur eine "ingridisierte" Antwort anbieten

):
helle hat geschrieben:Also: was meint eigentlich »Schonung« (Sonnenwärme, Licht, solche Dinge – wobei ich »Aufgedeckt« verstehe im Sinn des »vom Eise befreit« – dann fände ich »Schonung« aber nicht wirklich treffend)?
Ich sehe dieses Wort im Zusammenhang mit den ersten beiden dieses Gedichtes:
- Härte schwand. Auf einmal legt sich Schonung
an der Wiesen aufgedecktes Grau.
Von --- na, woher auch immer, das möchte ich nicht auch noch benennen!

--- also: bisher, im Winter, kam von dort "Härte". Das ändert sich nun, dieses "dort" (ha, ich sehe gerade, Rilke gibt ihm ja einen Namen, diesem "dort": "aus dem Raum" schreibt er) schickt jetzt "Schonung" (ja genau:
Sonnenwärme, Licht, solche Dinge ). Daher können sich die Wiesen beruhigt "aufdecken" lassen (na klar gehen sie dabei das Risiko ein, daß doch noch der eine oder andere "harte Tag" kommt... nothing is perfect).
helle hat geschrieben:Warum sind die (anthropomorphen) »Zärtlichkeiten« »ungenau«?
Eben weil es
nicht menschliche Zärtlichkeiten sind. Die würden wir viel genauer verstehen können. Ich sehe das "ungenau" sozusagen im Auge des Betrachters. Der erst dabei ist, die Sprache der Natur, das, was "aus dem Raum" kommt, verstehen zu lernen... dabei bleibt halt noch einiges verschwommen...
helle hat geschrieben:Und dann: bezieht sich das in »zeigens« versteckte Pronomen »es« auf das »Land« oder (auch?) auf alles zuvor Geschilderte (im Sinne eines »dies«),
- Zärtlichkeiten, ungenau,
greifen nach der Erde aus dem Raum.
Wege gehen weit ins Land und zeigens.
Ja - für mich heißt das: die Wege, die weit ins Land gehen, zeigen, daß sie die "ungenauen Zärtlichkeiten aus dem Raum" empfangen. Es sprießen vielleicht ein paar Winterlinge oder Schneeglöckerl, oder die eine oder andere Primel... und diese Frühlingsboten, die uns gezeigt werden, helfen uns dabei, diese "Zärtlichkeiten" vermittelt zu bekommen...
helle hat geschrieben:und schließlich: bezieht sich das Possessivpronomen »seines« ebenfalls auf das »Land« (das »steigen« könnte man nicht nur als allgemeines Keimen und Knospen verstehen, sondern konkreter als Steigen der Säfte im »Baum«)?
- Unvermutet siehst du seines Steigens
Ausdruck in dem leeren Baum.
Also - ich hab es bisher als Steigen der Säfte im Baum verstanden. Dein Gedanke, das "allgemeine Keimen und Knospen" könnte als "Steigen des Landes" gesehen werden, war mir noch nicht gekommen... aber ich finde ihn interessant!
Und nun noch zu
helle hat geschrieben:die Dinge mit Eigenschaften ausstatten, die sie nicht von sich aus haben, sondern aus der Sicht des Betrachters erhalten, die ihnen mithin zugesprochen werden aus der Sicht des sprachbegabten Menschen, hier z.B. die »Betonung«
- Kleine Wasser ändern die Betonung.
Für mich hat das einerseits mit "vom Eise befreit" zu tun... ich erlebe anderes, wenn ich eine Eisfläche anschaue, als bei einer Wasserfläche.
Andererseits wohl auch mit den Frühlingswinden (hier macht sich grad ein heftiger solcher über die Landschaft her) - ein stilles Wasser läßt mich anderes erleben als ein aufgewühltes, in dem sich die "Betonung" dauernd ändert...
Du hast natürlich recht, die Dinge erhalten in diesem Gedicht ihre Eigenschaften aus der Sicht des Betrachters, was Du als "Anthropomorphisieren" bezeichnest.
Allerdings möchte ich nun zurückfragen:
Können wir denn überhaupt irgendwelche Eigenschaften der Dinge, des "Raumes", der Natur anders als "aus der Sicht des Betrachters" erkennen? Und ist nicht "Anthropomorphisieren"
(wirklich schwierig, es gelingt mir schon wieder nicht, es gleich beim ersten Mal richtig zu schreiben
) daher so etwas wie unser Schicksal?
Liebe Grüße
stilz
"Wenn wir Gott mehr lieben, als wir den Satan fürchten, ist Gott stärker in unseren Herzen. Fürchten wir aber den Satan mehr, als wir Gott lieben, dann ist der Satan stärker." (Erika Mitterer)