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von helle » 16. Nov 2007, 22:35
Von allen seinen Büchern, schreibt Rilke am 5. April 1903 aus Viareggio an F. K. Kappus, seien ihm nur wenige unentbehrlich, »und zwei sind sogar immer unter meinen Dingen, wo ich auch bin. Sie sind auch hier um mich: die Bibel, und die Bücher des großen dänischen Dichters Jens Peter Jacobsen«.
Ich schreibe das aus dem Rilke-Handbuch ab, eine Freundin von mir schreibt mit Vorliebe ab, weil sie meint, daß man dabei einiges lernen würde, nur hab ich in meinem Leben schon so viel abgeschrieben, daß mir allmählich Zweifel kommen. Weiter im Text, also im Handbuch, heißt es im Abschnitt »Bibel« des mit dem modischen Plural überschriebenen Kapitels »Kulturräume und Literaturen«:
»R.s Handexemplar der Bibel, gedruckt 1770 in Minden nach der Luther-Übersetzung, befindet sich im Rilke-Archiv Gernsbach. Tatsächlich ist es mit R.s typischen Lesespuren versehen. Die gepreßten Pflanzen und An- sowie Unterstreichungen finden sich [...] hauptsächlich im Alten Testament, und da besonders im Buch der Psalmen. Am 3. 11. 1903 bat R. Lou Andreas-Salomé um Angaben zu ›einer modernen, wissenschaftlich guten deutschen Bibel-Übertragung‹. Die Freundin legte ihm daraufhin postwendend die Übersetzung des Alten Testaments von E. Kautzsch (1896) ans Herz« – und daß Rilke »diese Ausgabe wohl auch öfter herangezogen habe«. Soweit der positivistische Teil der Ausführungen, an die interpretativen Dinge will ich nicht rühren, das wäre abendfüllend, nur mit der wie ich finde erwähnenswerten Ausnahme, daß Rilkes Frömmigkeit und ostentative Demut nicht ethisch, sondern ästhetisch gesehen wird: »nur im Verhältnis zur Dichtung«. Der Bibel bedürfe er als Leser, aber hauptsächlich nutze er sie als »als gewaltiges Stoffreservoir« für sein Werk.
Soweit dies. Zu gliwi will ich noch sagen, die Bemerkung, »dass so gut wie alle deutschsprachigen DichterInnen gute Bibelkenntnisse hatten«, ist mir zu allgemein. Brecht ist gar kein Argument, weil er nicht typisch ist, sondern, wenn man von religiösen Dichtern wie R.A. Schröder oder R. Schneider absieht, neben Gottfried Benn der große Bibel-Kenner im 20. Jahrhundert, und sie wie dieser und wie Rilke vielfach für sein Werk nutzt. Und wie Benn, aber anders als Rilke, der sich ja so gern hingekniet hat, mit größeren Reserven gegenüber der Demut.
Jedem das seine.
h.