Liebe Studentin.Theresa,
da habe ich allerdings nun den Eindruck, dass Du das lyrische Ich in einer völlig anderen Stimmung vorfindest als ich sie lese.
Du schreibst: „
dass das Gefühl der Einsamkeit in der Menge leider ab und an auftritt“ – allein wo nimmst Du das: „
in der Menge“ und gar, wo nimmst Du das: „
leider“ her?
Rilke hat von „
Einsamkeit“ ein so positives Bild, dass er wohl kaum dem lyrischen Ich ein Bedauern in die Feder legen würde.
Hier, in einem Beitrag von stilz, kannst Du etliches darüber lesen, aber auch noch in vielen anderen, älteren Beiträgen hier im Forum ist das ausgeführt. Oder denk’ an die berühmte Stelle aus einem der Kappus-Briefe: „
Einsamkeit ist schwer; dass etwas schwer ist, muss uns ein Grund mehr sein, es zu tun.“
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Oh! --- Ich war unterbrochen worden, und nun sehe ich, dass inzwischen stilz mehr noch geschrieben hat als ich selbst sagen wollte.
Studentin.Theresa hat geschrieben:… sehe ich darin etwas Hoffnung, dass er nun doch nicht so einsam, wie gedacht ist. Irgendwann taucht schon die richtige Person auf, die ihm das Gefühl der Einsamkeit nimmt.
Inzwischen wirst Du ja gesehen haben, dass es die erlauchte
Phantasie ist, die immer wieder die Gefährtin des Einsamen wird. Wollen wir doch hoffen, dass sie ihm das so kostbare Gefühl der Einsamkeit
nicht rauben wird! Aber die holde
Phantasie wird schon nicht zur lästigen Schmeißfliege werden…
Mir fallen weitere Darstellungen ein, in denen die Rede ist vom Menschen, der gerade in der Einsamkeit am deutlichsten bemerkt, dass er
nicht allein ist.
Dass er
zu sich erwachen, sich selbst gegenübertreten, sich selbst finden kann.
Und der Weg zu dieser Erfahrung geht durch eine Art Einsamkeit, die „
erquickend still“ ist, so wie sie „
grausam finster“ erscheinen kann.
„
Des Menschen letzte Zuflucht“ (so nennt sie in eine Künstlergestalt im ersten Steinerschen Drama) – nein wirklich, die will auch das lyrische Ich in Rilkes Gedicht sich nicht „
nehmen“ lassen.
@lieber Dasha,
ich stimme Studentin.Theresa zu, dass Rilke nichts verwechselt:
»Wenn auch alleine oft — einsam
bin ich doch nicht auf der Welt« –
das wäre tragisch, würde eher das Krankheitsbild der „agitierten Depression“ beschreiben als die seelische Situation des mit der Phantasie Befreundeten.
Denn wenn Rilke hier die
Phantasie selbst wesenhaft Gestalt werden lässt, dann scheint er mir etwas von dem zu meinen, was als ein „
helles Götterkind“ erlebt werden kann <
frz. » la fantaisie «>, nicht wie eine Ausgeburt der Einbildungskräfte <
frz. » le fantasme «>, mit der sie oft verwechselt, als die sie oft verleumdet wird.
Solcherart Phantasie ist dem Künstler „
Freundin“ (daher wohl auch der Vorspann, den Dasha im Facsimile eingestellt hat). Freundin sein, das geht über das Stärken des
Verlassenen noch hinaus!
Dieses Wort hast Du @Dasha fett gesetzt. Mir scheint darin die Frage zu liegen:
Wovon fühlt sich das lyrische Ich „
verlassen“, bis es von der „
holden Fraue“
Phantasie getröstet wird? Ist das denn nur das menschliche Verlassensein, wie man es aus Hollywood-Schnulzen (oder aus den Alltags-Dramen von Beziehungskrisen) kennt?
Könnte es sein, dass der Dichter aus einer Vorahnung eigener Schaffenskrisen den Zustand meint, von der inspirierenden „
guten Macht“
in sich selbst, von dem „
Führer in mir“ sich verlassen zu fühlen? Ähnlich wie wir die Redewendung haben: „von allen guten Geistern verlassen sein“. So dass schöpferische Phantasiekräfte dann Bilder bieten, die den lebendigen Eingebungen aus dem sich selbst sammelnden Künstler-Ich zwar nicht ebenbürtig sind, aber immerhin diesen Quell lebendig halten!
lilaloufan
[P.S.: Beitrag gekürzt am 8. Mai 2012]