Briefe


An Ilse Erdmann

11.9.15, Sonnabend




... Ich bin umgeben von Umständen, die mich im persönlichsten Einsehen und Bekümmern zurückhalten; fast nirgends erhebt sich mein Wesen ins Allgemeinere; wo ich von der Zeit, dem Kriege, ja irgend einer Erscheinung des äußeren oder inneren Daseins zu sprechen hätte, müßte ich es in der subjektivsten Form tun, das heißt in der leidendsten; ich würde mich als der im Grunde Unbeholfenste, ja als nahezu Hülfebegehrender herausstellen, während Sie in mir doch den Helfenden anzureden entschlossen sind. Und ich weiß, daß keine Überhebung und unittelbare Unwahrheit darin liegt, wenn ich Sie gewähren lasse, als wäre ich wirklich helfend. Dies ist zwischen uns eine Voraussetzung, von deren Beweis wir absehen -; und am Ende weiß, unter Einsamen, doch keiner, ob er nicht in seiner Not dem anderen doch noch tröstlich sein, ob nicht die Gebärden seiner eigensten Ratlosigkeit zeichengebend und winkend in den Raum des Unabsehlichen hineinwirken. Nur so viel: Was Sie an Sicherheiten in meinen Büchern gefunden haben, sind nicht mehr die Sicherheiten, aus denen ich lebe. Geistig sowohl wie vielfach körperlich ist mir vorderhand alle Stütze weggenommen, ich halte mich, sozusagen, im Unmöglichen, aber da ich mich halte, so wird wohl eine Kraft an mir betätigt sein, die ich vielleicht nach und nach zu der meinen mache, da sie sich immerhin in mir bewährt. Daß um diese interne Heimsuchung nun auch noch die Welt so heimgesucht zusammengeschlagen ist, umgibt mein bemühtes Herz mit unbeschreiblicher Finsternis. Um zu wissen, wie arg mir diese Zeitläufte anhaben, müssen Sie sich denken, daß ich nicht "deutsch" empfinde, - in keiner Weise; ob ich gleich dem deutschen Wesen nicht fremd sein kann, da ich in seiner Sprache bis an die Wurzeln ausgebreitet bin, so hat mir doch seine gegenwärtige Anwendung und sein jetziges aufbegehrliches Bewußtsein, soweit ich denken kann, nur Befremdung und Kränkung bereitet; und vollends im Österreichischen, das durch die Zeiten ein oberflächliches Kompromiß geblieben ist (die Unaufrichtigkeit als Staat), im Österreichischen ein Zu-hause zu haben, ist mir rein unausdenkbar und unausfühlbar!



Wie soll ich da, ich, dem Rußland, Frankreich, Italien, Spanien, die Wüste und die Bibel das Herz ausgebildet haben, wie soll ich einen Anklang haben zu denen, die hier um mich großsprechen! Genug.


Über Ihre Stellung zum körperlichen Schmerz habe ich viel nachgedacht, und angemerkt, daß ein bloßes Wahrsein in ihm nicht notwendig zur reinen Armut führe, da er ja selbst keine Dürftigkeit, sondern ein Aufwand (im Körper) ist. Und über das gründliche Miterlebnis des Todes: verhält es sich damit nicht, wie mit dem Häßlichen in der Kunst, das eben durch die Bewältigung zur Kunst schuldlos wird? -, so wird es auch im Leben vor allem Erlebnis, mit den Toten tot zu sein, und damit unsere Spannung, ein zu Leistendes, Unsriges: ein Reichersein um den Tod.

RMR